Die 650 Zuschauer in der Erdgas Arena hatten sich längst von ihren Plätzen erhoben. 20 Sekunden waren nur noch zu spielen, als Trainer Jörgen Gluver noch einmal in die Taktikkiste griff. Seine Handballerinnen von Union Halle-Neustadt hatten kurz vor Schluss noch einen Siebenmeter bekommen. Und zur Ausführung schickte Gluver Laura Winkler. Eine Spielerin, die selten über Kurzeinsätze hinauskommt. „Sie sollte sich ein wenig Selbstvertrauen holen. Vor so vielen Zuschauern ist das gar nicht so einfach, einmal allein im Mittelpunkt zu stehen“, erklärte der Trainer. Die 18 Jahre alte Rückraumspielerin verwandelte. Und vermutlich wäre es nicht mehr als eine Randnotiz dieses klaren 36:27 (16:12)-Erfolgs der Wildcats gegen Werder Bremen, wenn die Torschützin an diesem Samstag ein Gesamtbild abgerundet hätte. Winkler war in dieser Partie die neunte Spielerin, die sich für Union in die Torschützenliste eintrug. Und die Breite an treffsicheren Spielerinnen war ein Grund für den zweiten deutlichen Erfolg innerhalb von acht Tagen. Bezeichnend: Die ersten sieben Treffer der Wildcats erzielten sieben verschiedene Spielerinnen. Gluvers Frauen trafen von allen Positionen, egal ob aus dem Rückraum, von Außen, vom Kreis, mit Kontern oder mit Strafwürfen. Trotzdem gaben sie sich nach dem Abpfiff selbstkritisch. „Ich glaube, wir hätten noch besser spielen können“, meinte Pia Dietz. „Vor allem im Angriff haben wir uns viele Fehler geleistet und etliche freie Würfe verschossen.“
Gluver war am Spielfeldrand teilweise der Verzweiflung nahe. Später hatte er dann eine schon fast humorvolle Begründung für die zahlreichen Fahrkarten. „Die Mädels müssen sich ihre Tore vor allem aus dem Rückraum immer sehr hart erarbeiten. Dieses Mal sind sie oft frei zum Wurf gekommen und das sind sie nicht gewohnt“, meinte er mit einem Augenzwinkern. Dabei hatten die Wildcats durchaus mit Unwägbarkeiten zu kämpfen. Abwehrchefin Pia Dietz musste bereits in der 35. Minute auf der Bank Platz nehmen, weil sie sich ihre zweite Zeitstrafe eingefangen hatte und Gluver keine Disqualifikation riskieren wollte. „Das war ein dummer Fehler. Ich hatte die Gegenspielerin am Trikot und habe einfach einen Tick zu spät losgelassen“, erklärte Dietz später.
Doch ihr Ausfall fiel nicht ins Gewicht, weil mit Martyna Rupp, Helena Mikkelsen sowie Stefanie und Jacqueline Hummel andere in die Bresche sprangen. Ein weiterer Grund für den klaren Erfolg und ein Beleg dafür, dass Trainer Gluver seine Baustellen nach und nach bearbeitet. Das gilt auch für die Linksaußenposition, die nach dem Kreuzbandriss von Sarah Andreassen völlig verwaist war. Nadine Smit, im Sommer vom Erstligisten SV Garßen-Celle eigentlich zur Verstärkung für den Rückraum geholt, findet sich dort immer besser zurecht. Nach fünf Treffern in der Vorwoche gegen Mainz traf sie gegen Bremen drei Mal und stand damit ihrer Teamkollegin auf der rechten Seite, Elisa Möschter (vier Tore) kaum nach. „Die Ausbeute ist völlig in Ordnung, wenn auch alle anderen treffen“, sagte Gluver.
Ein Extralob des Trainer verdienten sich erneut die Torhüterinnen. Für Anne Voigt stand eine Fangquote von 47 Prozent, sogar noch ein Prozent mehr packte Nicole Roth drauf, die Gluver in der einzig brenzligen Phase des Spiels zwischen die Pfosten stellte. Nachdem Werder vom 7:12 (18.) zum 11:12 (23.) aufgeschlossen hatte und auch Voigt dagegen machtlos war, nahm der Wildcats-Coach eine Auszeit und wechselte im Tor. Roth hielt ihre ersten vier Bälle und die Wildcats gingen mit einer 16:12-Führung in die Halbzeitpause. Nach dem Wechsel bauten die Gastgeberinnen diesen Vorsprung Stück für Stück aus.
„Natürlich waren die letzten beiden Partien Heimspiele, die wir gewinnen mussten. Aber mit 15 beziehungsweise neun Toren musst du auch diese Mannschaften erst einmal bezwingen“, sagte Gluver. „Trotzdem glaube ich, dass wir allmählich auf dem richtigen Weg sind und uns als Team finden.“